„Schläft ein Lied in allen Dingen“, ein Familienroman, die Geschichte eines Bauernmädchens, das aufgrund seiner besonders sensiblen Wahrnehmung die Gedichte von Eichendorff in der Landschaft Schlesiens spürt. Eine Geschichte über die heilende Macht der Phantasie.
Der Roman basiert auf intensiven kultur-historischen Recherchen, auf Zeitzeugenberichten und auf der Chronik eines malerischen Dorfes in Schlesien, am Fuße des Altvatergebirges „Giersdorf, Kreis Neisse“ in der Zeit von 1925 – 1950 und ist inspiriert vom Zauber der Gedichte von Joseph von Eichendorff. Die zeitlose Schönheit seiner einfachen Sprache und die Leidenschaft der Gedichte des großen Romantikers sind noch heute, 150 Jahre nach Eichendorff, zu spüren. Aber immer wieder überraschend ist die Universalität und Aktualität der Themen und Motive.
„In Schlesien gibt es – vielleicht schon seit ewigen Zeiten – die Menschen, die das Lied in allen Dingen spüren, die Menschen mit dem zweiten Gesicht“so flüsterte man sich zu, im Winter bei der Arbeit in den Bauernküchen am großen Tisch. Vielleicht? Niemand spricht es laut aus.
Anne-Marie spürt schon sehr früh, dass sie anders ist. Veranlagung, die Umwelt, die Landschaft, ein besonderes Spiel der Natur? Wie kommt es zu der außergewöhnlichen Wahrnehmung der Protagonistin? Schon immer, schon solange sie denken konnte, hörte sie „Das Lied in allen Dingen“, sie spürt diese wunderbaren Gedichte: In der Stille, in den Steinen am Feldrand, in steinernen Rittern, in blühenden Bäumen, im Fluss, im Zwielicht im Wald beim Holz sammeln – plötzlich, von einer Sekunde auf die andere sind sie da: Die Gedichte. Immer wieder hört sie das eindringliche „Wachet auf, wacht auf, wacht auf“, wenn der Onkel, dem man nicht mehr trauen kann, auf den Hof kommt, wenn die braunen Hochwasserfluten Menschen in den Tod reißen, wenn das Nordlicht den Horizont färbt und nur sie die brennenden Dörfer schon sehen kann, die sonst niemand sieht. Nur sie hört den „Wächter“, den sonst niemand hört. Anne-Marie fürchtet sich vor den Männern in den braunen Uniformen, denen die Uniformität ihrer Gedanken in ihren Gesichtern geschrieben steht.
In ihrer Schule wirkt Anne-Marie ruhig und verträumt, aber ihre Gedanken sind ständig auf der Jagd. Sie liebt das Andere, das Besondere, das Ungleiche, das so ist wie die Häuser am Ring, wie die Wolken, wie die Berge der Sudeten und der niemals mehr wiederkehrende Augenblick der Zeit. Immer suchen ihre Blicke die Menschen mit den schnellen Jägeraugen. Ist denn niemand auf der Welt so wie sie?
Als sie fast wieder einmal in der Welt ihrer Träume und Gedanken zu versinken droht, wird sie durch dramatische Ereignisse in die Welt zurück gerissen. Im Dorf geschieht ein schrecklicher Unfall, denn der Junge mit den schnellen braunen Jägeraugen verunglückt. Es passieren Ereignisse, die sie nicht versteht. Irgendetwas ist mit ihrer Schwester geschehen, sie hat sich so sehr verändert. Neue Aufgaben sind plötzlich zu bewältigen.
Krieg. Soldatenstiefel dröhnen durch das Grenzdorf. Der Einmarsch der Deutschen in das Sudetenland zerreißt die Menschen, das Land und die Welt. Es folgen Jahre der Sorgen, der Arbeit und der Angst. Doch noch immer sind die Gedichte von Eichendorff Anne-Marie so nah. Die Welt gerät ins Chaos. „Unkraut die Welt verwirret“. Krankheit und Tod greifen um sich, die „Lockung“ mit den kalten Händen zerrt an den kranken Körpern und Seelen. „Eldorado“ erzählt von der Vertreibung aus dem goldenen Land der Kindheit. „Eine Frau sitzt eingeschlafen dort…“ am Brunnen und dort, unter der Linde – doch die toten Frauen sind die Frauen aus den Gedichten von Eichendorff. Dann verstummen selbst die Gedichte.
Endlos lange Züge rollen nach Westen, dann weiter nach Norden, bis ans Meer. Nach langer Zeit kommt ein trauriger Brief eines Soldaten, er berichtet davon, wie nur ein Gedicht ihn vor dem Sterben gerettet hat „Durch“.
In Schillig an der Nordsee beginnt eine neue Zeit. Ihr Schwager kommt zurück aus der Gefangenschaft. Er will sie heiraten. Die Kinder ihrer verstorbenen Schwester brauchen wieder eine Mutter. Aber Anne-Marie will ihn nicht. Sie wartet auf einen Jäger. Sie geht fort, wartet nicht wie einst der steinerne Ritter „Auf einer Burg“.
Es kommt die Zeit, in der die „Päonien“ wieder in den Gärten blühen. Post – eine Einladung, wie „ein Posthorn im stillen Land“. Als die „Sehnsucht“ sich ausbreitet, plötzlich alles erfüllt, in einer ihr fremden Landschaft, fühlt sie auf einmal: Die Gedichte sind wieder da. Die Schönheit der Sprache der Gedichte von Eichendorff breitet sich aus, erfüllt den Raum und die Zeit und die Welt. Und sie spürt, die „Sehnsucht“ wird sie dort hin führen, wo er, den sie schon so lange sucht, auf sie wartet – der „Jäger mit den schnellen Augen “ und es wird sein, „Als flöge sie nach Haus“.